Als Chirurgin in Tadschikistan – Erfahrungsbericht aus dem Swiss Surgical Team

Nicole van Veelen, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie , LUKS Luzern

Nach einer fast dreijährigen, Covid-19-bedingten Pause, stehe ich wieder an der Passkontrolle in Dushanbe, Tadschikistan. Es ist für mich bereits die vierte Reise nach Tadschikistan. Die Schlange geht nur langsam voran, aber nach gut 30 Minuten ist schliesslich unser gesamtes Team durch. Mouazamma, eine tadschikische Mitarbeiterin des DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) nimmt uns in Empfang. Sie hat mehrere Taxis organisiert, um uns zum Hotel zu bringen. Die Kooperation mit der DEZA ist wichtig und war mitunter ein Grund, weshalb Tadschikistan für das Projekt der Swiss Surgical Teams (SST) gewählt wurde. Sie ermöglicht eine Verbindung zwischen SST und den Regierungsstellen, was für eine nachhaltige Arbeit unabdingbar ist.

Tadschikistan ist ein Binnenland in Zentralasien mit rund 10 Millionen Einwohnern, welches bis zu dem Erlangen der Unabhängigkeit 1991 zur Sowjetunion gehörte. Kurz darauf brach ein fünfjähriger Bürgerkrieg aus. Diese Unruhe führte zu einem massiven medizinischen Wissensverslust durch die Auswanderung von russischen Ärzten. Präsident Rahmon kam 1992 an die Macht und 1997 wurde ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und den Opponenten abgeschlossen. Seither besteht mehr oder minder eine innenpolitische Stabilität, wobei jedoch seit 2022 im Osten im Gorno-Badakhshan- Gebiet Auseinandersetzungen zwischen der Pamiri-Minderheit und der Regierung zu mehreren Todesfällen geführt haben.

Nebst Personal- und Wissensmangel kämpft das Gesundheitssystem in Tadschikistan auch mit einer finanziellen Unterversorgung. Gesamthaft werden pro Jahr rund 8% des Bruttoinlandproduktes (BIP) für die öffentlichen Gesundheitsausgaben aufgewendet, was jedoch bei einem BIP von 12.8 Mrd. US-Dollar lediglich 70

US-Dollar pro Person entspricht (als Vergleich werden in der Schweiz 11.8% des BIP aufgewendet, was 10'000 US-Dollar pro Person entspricht). Diese Kosten müssen grösstenteils von den Patienten selber übernommen werden. Hierbei ist zu erwähnen, dass 13.5% der Einwohner unterhalb der Armutsgrenze von 3.65 US- Dollar/Tag leben, was den Zugang zu medizinischer Versorgung erschwert.

Während ein Teil des Swiss Surgical Teams in Dushanbe bleibt, um dort ihren Einsatz zu leisten, reise ich mit meinem Team am nächsten Morgen weiter nach Qabodiyon. Unser Team besteht aus drei Anästhesisten, vier Chirurgen und einem OP-Fachmann sowie unseren beiden äusserst wertvollen Übersetzern. Ohne sie wäre unsere Arbeit unmöglich, da die einheimischen Fachkräfte weder Englisch noch Deutsch beherrschen und unser Tadschik nach wie vor auf sehr bescheidenem Niveau ist. Bis auf zwei der acht Teammitglieder waren alle bereits mehrmals mit den SST in Tadschikistan. Dies ist für die Kontinuität wichtig, da wir so bei jedem Einsatz auf die vergangenen aufbauen können.

Die gut zweistündige Fahrt von Dushanbe nach Qabodiyon war deutlich kürzer und angenehmer als beim letzten Einsatz, da zwischenzeitlich die Strasse auf der gesamten Strecke asphaltiert wurde. Dort werden wir am Spitaleingang bereits erwartet und herzlich willkommen geheissen. Zuvorderst steht Umar, der Chefarzt der Chirurgie in Qabodiyon und zwischenzeitlich guter Freund unseres Teams. Er hat für unseren ersten Tag bereits zwei Operationen geplant und wir werden zügig in den Operationssaal gebeten.

Der operative Schwerpunkt dieser zwei Wochen sind Hernien, laparoskopische Cholezystektomien, proktologische Eingriffe und Varizen. Das Ziel der Einsätze ist möglichst viel zu assistieren und instruieren und wenig selbst zu operieren, damit unser Aufwand nachhaltigen Erfolg haben kann. Bei den laparoskopischen Cholezystekomien gelingt dies schon sehr gut. Umar berichtet, er habe seit dem letzten Einsatz rund 50 selbstständig durchgeführt. Dies ist für uns ein klares Zeichen, dass die Einsätze zielführend sind. Vor fünf Jahren hatte er noch nie eine laparoskopische Cholezystektomie durchgeführt und durch unseren Einsatz kann er sie nun selbstständig und sicher durchführen. Ein enormer Gewinn für die Patienten, welche sich somit deutlich schneller erholen können als nach einer offenen Cholezystektomie. Rassul, der Assistenzarzt, welcher Umar jeweils assistiert hat, durfte unter unserer Aufsicht erstmalig selber eine laparoskopische Cholezystektomie durchführen. Hierbei zeigte er ein eindrückliches Geschick. Auch hier scheinen die während den Einsätzen jeweils durchgeführten Übungen am Simulator eine sehr gute Basis geschaffen zu haben.